Info-Brief 811: CIMI veröffentlicht Bericht „Gewalt gegen die indigenen Völker in Brasilien 2006-2007“
Der Indianermissionsrat – CIMI hat am 10.4.2008 bei einer Pressekonferenz im Rahmen der 46. Generalversammlung der Brasilianischen Bischofskonferenz – CNBB die Dokumentation über die Gewalt gegen die indigenen Völker und die Verletzung der indigenen Rechte in den Jahren 2006 und 2007 der Öffentlichkeit vorgestellt.
Seit fast 20 Jahren erfasst der CIMI Berichte aus den Medien und seiner Mitarbeiter vor Ort über Aggressionen gegen die indigenen Völker. Der Bericht umfasst Gewalt gegen indigenen Besitz, wie Landkonflikte und Umweltzerstörung und Angriffe gegen einzelne Personen, wie Mord, Bedrohung und Rassismus. Ein weiteres Thema sind Gewaltakte infolge Unterlassungen seitens der öffentlichen Hand, wie Selbstmord, Kindersterblichkeit und fehlende indigene Gesundheitsbetreuung. Im letzten Kapitel befasst sich der Bericht mit den Bedrohungen der Gemeinschaften in Amazonien, die kaum oder keine Kontakte zu der sie umgebenden Gesellschaft haben.
Tragischer Rekord in Mato Grosso do Sul
Zwischen 2006 und 2007 stieg die Zahl der ermordeten Indios im Bundesstaat Mato Grosso do Sul um 99 %, von 27 auf 53. Landesweit gab es einen Anstieg um 64 %, von 57 auf 92 Ermordungen.
Die Mordfälle, bei denen die Täter ermittelt werden konnten, wurden 2007 in 31 Fällen, 2006 in 24 Fällen, von Indios im Kontext eines Streits, vor allem innerhalb von Verwandten, verübt. Vielfach blieben die Verbrecher aber unbekannt, da die Opfer erst Tage nach der Ermordung gefunden wurden.
Die meisten Morde verzeichnete Mato Grosso do Sul. Hier sind die Probleme vor allem auf den Landmangel zurückzuführen. Die Gemeinschaften Guarani-Kaiowá leben in Lagern am Rande der Straßen oder in demarkierten Territorien, in denen Gruppen aus anderen traditionellen Gebieten Zuflucht suchen. Land fehlt ganz besonders für die Bewirtschaftung und die Lohnarbeit außerhalb der Aldeias ermöglicht kaum das Überleben.
Die Anthropologin Lúcia Rangel, die den Bericht organisierte, stellte einen Vergleich mit dem Zeitraum 2003 bis 2005 an: „Die Situation der Guarani-Kaiowá ist nahezu gleich geblieben. Die Daten zeigen, dass in Mato Grosso do Sul der Genozid andauert. Hier sind die meisten Mordopfer, Mordversuche, Selbstmorde, hohe Kindersterblichkeit, viele Fälle von Unterernährung, Alkoholismus, Aggressionen und Drohungen zu beklagen. Indios werden von Fahrzeugen niedergefahren, betteln in den Städten, leiden sexuelle Gewalt und werden verhaftet. Sie leben inmitten von großen Zuckerrohr-, Soja- und Maisplantagen sowie Viehweiden. Die in der Landwirtschaft eingesetzten Chemikalien vergiften die Wasserquellen, führen zu Erkrankungen und lassen den Gemeinschaften keinen Raum für bäuerliche Familienbetriebe“.
Unwürdige Arbeitsbedingungen und Mordfälle in Zuckerrohrfabriken
Im Bericht 2006-2007 muss die Auswirkung der zunehmenden Zuckerrohrfabriken auf die indigenen Völker in Mato Grosso do Sul erwähnt werden. Die Arbeitsbedingungen für die Indios auf den Zuckerrohrplantagen und in den Fabriken sind äußerst erniedrigend und ausbeuterisch. Im März 2007 wurden 150 Indios, die als Zuckerrohrschneider für die Destillerie Centro Oeste Iguatemi Ltda. (Dcoil) schufteten, von Kontrolleuren des Regionalen Arbeitskommissariats befreit. Im November 2007 entdeckte eine Sondergruppe für Kontrolle des Arbeitsministeriums 1.011 Indios Guarani-Kaiowá und Terena unter unwürdigsten Bedingungen in der Fabrik Debrasa. „Neben den erniedrigenden Arbeitsbedingungen, gab es vier Mordfälle in den Unterkünften der Firma. Minderjährige fälschten ihre Dokumente, um als Zuckerrohrschneider zu arbeiten, weil ihnen viel Geld versprochen wurde. Sie gaben die Schule auf, betrogen die Kontrollen und kümmerten sich nicht um die Sorgen ihrer Eltern“, berichtete Lúcia Rangel.
Die Lohnarbeit auf Fazendas und in Fabriken ist eine Alternative für indigene Männer in Mato Grosso do Sul, um dem Mangel an Land, der Arbeitslosigkeit und der Überbevölkerung der Aldeias zu begegnen. In einigen Aldeias der Guarani-Kaiowá
gibt es weniger als 1 ha Land pro Person und das verhindert die traditionelle Lebensweise dieses Volkes.
Ausbeutung der natürlichen Rohstoffe führen in Maranhão zu Gewalt und Tod
Maranhão steht mit 10 Ermordeten im Jahr 2007 an zweiter Stelle der Opferbilanz. Drei Fälle standen im Zusammenhang mit illegalen Holzschlägerungen im Gebiet Araribóia des Volkes Guajajara. Bei einem Übergriff von Holzunternehmern im Oktober 2007 wurden Tomé Guajajara getötet und zwei Indios verletzt. Die ständige Anwesenheit von Holzhändlern und die großflächige Abholzung gefährdet rund 60 Awá Guaja, die keinen Kontakt zu der sie umgebenden Gesellschaft haben.
In diesem Bundesstaat leidet das Volk Guajajara besonders unter dem Unternehmen Vale (die frühere Firma Vale do Rio Doce), das indigenes Territorium beansprucht.
Im Jahr 2006 gab es zwei Fälle von schuldhaftem Mord im Zusammenhang der Eisenbahnlinie der Firma, die durch das Gebiet Maranduba der Guajajara führt. Im August 2006 starb eine Person durch elektrischen Schlag, nachdem eine Lokomotive einen Hochspannungsmast gerammt hatte. Vale wusste von dem Schaden, hatte aber keine Maßnahmen ergriffen. Ein anderer Indio wurde von einem Güterzug überfahren.
Invasionen zur Besitzaneignung
Im Jahr 2006 verzeichnete der CIMI 32 Fälle von Besitzaneignung und Ausbeutung natürlicher Rohstoffe in den Bundesstaaten Amazonas (4), Bahia (1), Ceará (2), Maranhão (1), Mato Grosso (3), Mato Grosso do Sul (4), Pará (4), Rondônia (2), Roraima (9), Tocantins (1) und Santa Catarina (1). Im Jahr darauf gab es 14 dieser Fälle. Die Invasoren waren Landspekulanten, Großgrundbesitzer, Holzunternehmen, Goldschürfer sowie nationale und internationale Firmen und sogar staatliche Mitarbeiter der Bundes- oder Militärpolizei.
Die Nachlässigkeit des Staates bei der territorialen Regelung führt zu Gewalt
Von den 2006 registrierten Gewaltakten weist der CIMI besonders auf den Konflikt zwischen Aracruz Celulose und den Gemeinschaften Tupinikim und Guarani im Bundesstaat Espírito Santo hin. Die Auseinandersetzung um rund 11.000 ha Land wurde im August 2007 beigelegt, nachdem der Justizminister in einem deklaratorischen Erlass das Gebiet als indigen erklärte, das bis dahin von Aracruz für Eukalyptusplantagen benutzt wurde.
Der jahrelange Konflikt um dieses Gebiet erreichte 2005 seinen Höhepunkt. Die Bundesregierung blieb untätig, beachtete keine der Fristen für die Demarkierung von indigenen Gebieten, wie im Dekret 1775/98 vorgesehen ist. Dadurch wurden die Tupinikim und Guarani Opfer von Machtmissbrauch, Aggressionen, Drohungen und Rassismus. Im Januar 2006, etwa bei der Zerstörung einer Aldeia, waren Staat und Aracruz Celulose gemeinsam beteiligt.
Viele Gewaltakte sind die Folge staatlicher Unterlassung oder Verzögerung bei der Regulierung indigener Gebiete. Im Jahr 2006 registrierte der CIMI 26 Fälle der Unterlassung, Verzögerung oder Nichtbeachtung von Fristen bei der Landregelung. Viele Verfahren wurden in den Bundesstaaten Acre (1), Bahia (3), Mato Grosso do Sul (1), Pará (1), Paraná (2), Rio de Janeiro (2), Rio Grande do Sul (4), Santa Catarina (8), Espírito Santo (1) und São Paulo (4) gestoppt. Im Jahr darauf gab es 20 Fälle in den Bundesstaaten Paraná, Santa Catarina, Bahia, Paraíba, Acre, Pará und Rio Grande do Sul.
Gewalt gegen die indigenen Völker 2006 – 2007
Konflikt | 2006 | 2007 |
Angriff auf territoriale Rechte | 5 | 6 |
Besitzaneignung, illegale Plünderung von Rohstoffen, Besitzschädigung | 32 | 15 |
Ökologische und biologische Schäden | 19 | 14 |
Unterlassungen und Verzögerungen bei Gebietsregelung | 26 | 20 |
Gewaltakt | 2006 | 2007 | ||
Fälle | Opfer | Fälle | Opfer | |
Mord | 56 | 57 | 91 | 92 |
Mordversuch | 25 | 33 | 38 | 49 |
Schuldhafte Tötung | 12 | 18 | 8 | 8 |
Morddrohung | 8 | 9 | 8 | 10 |
Bedrohungen | 7 | 4 | 9 | 5 |
Fonte: Cimi |