03/12/2004

Manifest der Indigenen Völker


 


Wir, Vertreter von 35 Indigenen Völkern bei der Nationalen Konferenz „Land und Wasser“ bekunden unsere Unzufriedenheit mit der indigenen Politik der Regierung von Luiz Inácio Lula da Silva, die sich auszeichnet durch Unterlassung trotz der Gewalt gegen unsere Völker, durch Missachtung unserer Verfassungsrechte und durch fehlendes Interesse an einem Dialog über die Strukturierung einer neuen indigenen Politik. Im Gegenteil! Die Regierung fördert und stärkt die Gründung von Kommissionen, um über Politiken für die indigenen Völker zu diskutieren und nachzudenken. In diesen Gremien sitzen Personen und Autoritäten, die gegen unsere Verfassungsrechte auftreten.


 


Unsere Gemeinschaften setzten grosse Hoffnung in die aktuelle Regierung, die vor ihrer Wahl historische Verpflichtungen in der Verteidigung unserer Rechte, vor allem das Recht auf Demarkierung und Schutz unserer Gebiete, hatte. Seit Jahrzehnten gibt es Beziehungen zur PT und diese setzte sich immer kompromisslos für die indigenen Anliegen ein. Ihre Parlamentarier waren wichtige Verbündete im Nationalkongress und wir glaubten, nach der Wahl von Lula, mit ihnen die gleiche Partnerschaft wie zuvor zu haben, bei der Diskussion und Umsetzung unserer Vorschläge, wie es die Bundesverfassung vorsieht, ganz besonders beim neuen Statut der Indigenen Völker


 


Fast zwei Jahren dieser Regierung sind vergangen. Wir fühlen uns verraten. Die Gebiete wurden nicht demarkiert, wie uns im Wahlkampf versprochen wurde. Im Gegenteil! Bei abgeschlossenen Demarkierungen werden Revisionen vorgenommen oder Gebiete verkleinert, wie im Fall des Territoriums Baú der Kayapó im Bundesstaat Pará. Wir fühlen uns verraten. Die Gewalt gegen Vertreter, Gemeinschaften und Völker ist erschreckend angestiegen. In den letzten zwei Jahren wurden 40 Personen ermordet, die meisten bei ihrem Einsatz für Land. Grossgrundbesitzer, Schürfer, Bodenspekulanten, Holzunternehmer und Reisproduzenten sind der Ansicht, dass die Regierung kein Interesse hat, indigene Probleme zu lösen. Sie dringen in unsere Gebiete ein, beuten die natürlichen Rohstoffe aus, zerstören unsere Wälder, verschmutzen und vergiften unsere Flüsse und Seen, greifen in die Biodiversität ein, zerstören unsere Kulturen und ermorden unsere Leute.


 


Es gibt unzählige Beispiele für diese Invasionen:


Wir weisen in diesem Manifest auf die Invasion von Tausenden Schürfern in das Gebiet des Volkes Cinta Larga in Rondônia im Jahr 2000 hin, die wiederholt bei den Bundesautoritäten zur Kenntnis gebracht wurde. Dennoch traf man keine konkreten Massnahmen zur endgültigen Lösung der illegalen Invasion und Ausbeutung von Bodenschätzen. Die Folge dieser Unterlassung sind Gewalt zwischen Indios und Schürfern, Zerstörung der Umwelt und Schmuggel von wertvollen Steinen.


 


Die Invasion in das Gebiet Raposa/Serra do Sol in Roraima ist ein weiteres Beispiel. Am 23.11.2004 um sechs Uhr morgens, sind 40 Fazendeiros und Pistoleiros in drei Malocas eingedrungen, steckten Häuser in Brand, zerstörten Felder, schossen auf Personen und verprügelten sie.


 


Die Invasion von Fazendeiros in das Gebiet Marãiwatsedé der Xavante ermöglichte die gewaltsame Vertreibung von ihrem Gebiet, förderte die Ausbreitung von Krankheiten und Kindersterblichkeit.


 


In den südlichen Bundesstaaten drängt das Volk Guarani auf die Demarkierung seiner Gebiete. Die Indios können das Land nicht nutzen, da es von den Regierungen für die Besiedlung freigegeben wurde, von Grossgrundbesitzern beansprucht wird oder als Naturschutzgebiete gelten. Heute leben Dutzende Gemeinschaften zwischen den Zäunen von grossen Fazendas und Strassen und haben kein Recht auf den Zugang zu ihrem Land, zu ihrer Mutter. Im Nordosten fordern über 60 Völker ihr Land. Von den 490.000 ha, die ihnen laut Gesetz zustehen, werden nur 88.000 ha reguliert. In dieser Region sind wir auch Opfer von zweifelhaften Projekten, etwa die Umleitung des Rio São Francisco. Im Zentralwesten werden unsere Gebiete durch den Bau von Wasserstrassen sowie die grossflächige Abholzung der Wälder für Sojaplantagen für das Agrogeschäft zerstört. In Mato Grosso wurden Tausende ha von indigenem Land für den Anbau von Soja abgeholzt. Im Bundesstaat Tocantins wurden die Krahô-Kanela gewaltsam von ihren Gebieten vertrieben und waren jahrelang gezwungen, auf Siedlungen des INCRA zu leben. Heute kämpft dieses Volk auf das Recht auf sein Land, das ihnen gestohlen und Grossgrundbesitzern gegeben wurde.


 


Neben all diesen Nachlässigkeiten hinsichtlich der indigenen Rechte stellen wir fest, dass die Energiepolitik der jetzigen Regierung der gleichen Logik wie früher folgt. Grundlagen sind die Privatisierung von Unternehmen und Wasservorkommen sowie der Bau von Wasserkraftwerken, die traditionelle Gebiete überfluten und indigene Völker, Quilombabewohner und Kleinbauern obdachlos machen.


 


Dutzende Wasserkraftwerke sind im ganzen Land geplant und viele von ihnen werden aufgrund von illegalen Ausschreibungen vergeben, etwa im Fall des Kraftwerkes von Barra Grande im Süden Brasiliens. Für das indigene Gebiet Rio Branco sind sieben Kraftwerke geplant, drei davon sind bereits in Betrieb, fördern das Sterben des Rio Branco und gefährden die Zukunft der hier lebenden Völker.


 


Es ist zu beklagen, dass die Regierung Luiz Inácio Lula seit zwei Jahren den Beziehungen mit den oligarchen Sektoren der Bundesstaaten, mit konservativen Politikern und mit den Eliten auf dem Land und in den Städten sowie dem Finanzsystem den Vorrang gibt. Diese Segmente sind ein unüberbrückbares Hindernis für Regierungsaktionen, etwa für die Demarkierung von indigenen Gebieten, die Landreform, den Umweltschutz, landwirtschaftliche Familienbetriebe, Gerechtigkeit und Frieden auf dem Land.


 


Angesichts dieser Realität betonen wir die notwendige Stärkung unserer Organisationen, der Bündnisse zwischen unseren Völkern bei der Verteidigung unserer Gebiete und unserer Verfassungsrechte. Wir müssen auch die Partnerschaften mit den Bewegungen und Organisationen erweitern, die sich für Demokratisierung von Land und Wasser, für die Agrarreform, für eine gerechtere, pluriethnische und plurikulturelle Gesellschaft einsetzen.


 


Gemeinsam müssen wir an unsere Kraft zum Wandel glauben, um mitzuarbeiten an einem Land ohne Böses, an einem Land voll des Lebens, an einer Mutter-Erde für alle Völker.


 


 


Brasília, 25. November 2004


 


Diese indigenen Völker waren bei der Nationalen Konferenz „Land und Wasser“ vertreten:


 


Sabanê – Mamaindê –  Lakondê     Puruborá –  Wajuru  – Migueleno     Oro Mon  – Karitiana  – Arara     Gavião    Zoró  – Aikanã     Kampé    Makurap     Tupari  – Kwaza  – Terena     Guarani Kaiowá    Guarani     Kaingang    Xokleng    Xukuru  -Potiguara     Tupinambá    Pataxó Hã-hã-hãe     Xukuru Kariri    Macuxi     Wapichana    Igarikó     Apinajé     Javaé     Xerente    Krahô-Kanela     Krahô    Karajá


 

Fonte: Cimi - Conselho Indigenista Missionário
Share this: