Invasionen in indigene Landgebiete nahmen 2021 wieder zu, im Kontext von Gewalt und Angriffen auf Rechte
Der Jahresbericht des Cimi zeigt die Verschärfung der Gewalt gegen die indigenen Völker in Brasilien, mit Angriffen auf Rechte und Abbau der Kontroll- und Hilfsorganen
Das Jahr 2021 war geprägt von der Vertiefung und dramatischen Verschärfung der Gewalttaten und Übergriffe gegen die indigenen Völker in Brasilien. Die Zunahme von Invasionen und Angriffen auf indigene Gemeinschaften und Anführer*innen sowie die Intensivierung von Konflikten spiegelte in den Territorien das institutionelle Umfeld der Offensive gegen die verfassungsmäßigen Rechte der Ursprungsvölker wieder. Das zeigt der Report Gewalt gegen die Indigenen Völker Brasiliens – Daten von 2021 (Relatório Violência Contra os Povos Indígenas do Brasil – Dados de 2021), eine jährliche Veröffentlichung des Indigenisten-Missionsrates (Conselho Indigenista Missionário, Cimi – Fachstelle der katholischen Kirche für Indigenenfragen).
In ihrem dritten Amtsjahr hielt die Regierung von Jair Bolsonaro an der Richtlinie fest, die Demarkierung indigener Landgebiete auszusetzen und den Schutz bereits abgegrenzter Landgebiete vollständig zu unterlassen. Während diese Haltung aus der Sicht der offiziellen Indigenenpolitik eine Kontinuität gegenüber den beiden Vorjahren darstellte, so stellte sie aus der Sicht der Völker die Verschärfung eines Szenarios dar, das schon zuvor gewalttätig und erschütternd war.
Die Folge dieser Haltung war, im sechsten Jahr in Folge, eine Zunahme der Fälle von „Besitzinvasion, illegaler Ausbeutung von Ressourcen und Sachbeschädigung“. Im Jahr 2021 verzeichnete Cimi 305 solcher Fälle in mindestens 226 Indigene Territorien (Terras Indígenas) in 22 brasilianischen Bundesstaaten.
Im Vorjahr waren 201 Landgebiete in 19 Bundesstaaten von 263 Invasion betroffen. Die Zahl der Fälle im Jahr 2021 ist fast dreimal höher als im Jahr 2018, als 109 solcher Fälle registriert wurden.
Der Report registrierte im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg in 15 der 19 Kategorien von Gewalt, die in ihm systematisiert wurden, und die Zahl der ausgelöschten indigenen Leben ist enorm
Além do aumento quantitativo de casos e terras afetadas pela ação ilegal de garimpeiros, madeireiros, caçadores, pescadores e grileiros, entre outros, os invasores intensificaram sua presença e a truculência de suas ações nos territórios indígenas. Essa situação ficou explícita em casos como o dos povos Munduruku, no Pará, e Yanomami, em Roraima e Amazonas.
Neben der quantitativen Zunahme von Fällen und Gebieten, die durch illegale Aktionen von Erzschürfern, Holzfällern, Jägern, Fischern, Landschwindlern usw. betroffen sind, verstärkten die Eindringlinge ihre Präsenz und die Brutalität ihrer Aktionen in indigenen Territorien. Das wurde besonders deutlich in Fällen wie beim Volk der Munduruku im Bundesstaat Pará und dem Volk der Yanomami in den Staaten Roraima und Amazonas.
Im Indigenen Territorium (IT) Yanomami, wo es schätzungsweise mehr als 20.000 Erzschürfer gibt, begannen diese Invasoren mit systematischen bewaffneten Angriffen auf indigene Gemeinschaften, verbreiteten ein Klima von Terror und verursachten Todesopfer, darunter auch Kinder.
Die kriminellen Angriffe mit schweren Waffen wurden von den Indigenen wiederholt angezeigt, aber von der Bundesregierung ignoriert, die den Erzabbau in diesen Gebieten weiterhin förderte. Die Minen wurden zudem zum Einfallstor von Krankheiten wie Covid-19 und Malaria unter den Yanomami.
In Pará griffen Erzschürfer, die illegal im IT Munduruku aktiv sind, den Sitz eines Verbandes indigener Frauen an, versuchten, die Reise von Anführer*innen des Volkes zu Demonstrationen in Brasília zu verhindern, verbreiteten Morddrohungen und brannten das Haus einer Anführerin nieder, als Vergeltung für ihre Stellungnahme gegen den Erzabbau in diesem Gebiet. Während solcher Aktionen wurde das IT Munduruku weiter verwüstet, und Flüsse und Bäche werden durch die schweren Maschinen zerstört, die bei der illegalen Goldgewinnung eingesetzt werden.
Der Report registrierte im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg in 15 der 19 Kategorien von Gewalt, die in ihm systematisiert wurden, und die Zahl der ausgelöschten indigenen Leben ist enorm. Es gab 176 Morde an Indigenen – nur sechs weniger als im Jahr 2020, das die höchste Zahl an Tötungsdelikten verzeichnete, seit Cimi 2014 begann, diese Daten auf Grundlage von öffentlichen Quellen zu verarbeiten. Die Zahl der indigenen Selbstmorde im Jahr 2021 war mit 148 die höchste, die im selben Zeitraum jemals aufgezeichnet wurde.
Der generelle Kontext der Angriffe auf indigene Territorien, Anführer*innen und Gemeinschaften hängt mit einer Reihe von Maßnahmen der Exekutive zusammen, die die Ausbeutung und private Aneignung von indigenen Landgebieten begünstigten, sowie mit dem Vorgehen der Bundesregierung und ihrer Verbündeten, Gesetze zur Aushöhlung des verfassungsgemäßen Schutzes für indigene Völker und ihre Territorien zu verabschieden.
Das ist der Fall bei Maßnahmen wie der Durchführungsverordnung 09 (Instrução Normativa, IN), die 2020 von der Schutzbehörde FUNAI (Fundação Nacional do Índio, Nationale Indio-Stiftung) veröffentlicht wurde. Sie gibt die Zertifizierung von Privatgrundstücken auf noch nicht abschließend anerkanntem indigenem Land frei. Oder auch der Gemeinsamen Durchführungsverordnung von Funai und der Umweltbehörde Ibama (Instituto Brasileiro do Meio Ambiente e dos Recursos Naturais), durch die schon 2021 die wirtschaftliche Nutzung indigener Landgebiete durch Vereine und Organisationen „gemischter Zusammensetzung“, also von Indigenen und Nicht-Indigenen, zugelassen wurde.
Denselben Charakter hatten auch Vorschläge wie das Gesetzesprojekt (Projeto de Lei, PL) 490/2007, das neue Demarkierungen unmöglich macht und bereits demarkierte Landgebiete einer räuberischen Ausbeutung öffnet, sowie das Projekt PL 191/2020, das von der Bundesregierung selbst verfasst wurde und die Erzschürfung in ITs freigeben will.
Dieses Set von Maßnahmen bestärkte die Invasoren in der Ausweitung ihrer illegalen Tätigkeiten in indigenen Landgebiete. Viele Minen entwickelten eine umfangreiche Infrastruktur, Invasoren intensivierten die Abholzung von Waldgebieten, um Viehweiden zu erschließen und Monokulturen anzubauen, und Jäger, Fischer und Holzfäller verstärkten ihr Eindringen in die Territorien.
Das Bemühen um die Verabschiedung dieser Gesetzesprojekte, der Kontext der Offensive gegen ihre Rechte und die sich verschlechternde Situation in den Territorien führten zu einer starken Mobilisierung der indigenen Völker in ganz Brasilien, mit zwei großen nationalen Camps in Brasília.
Trotz mehrerer rechtlichen Maßnahmen der Bundesstaatsanwaltschaft (Ministério Público Federal, MPF) war 2021 bereits das dritte Jahr, in dem der brasilianische Präsident sein Versprechen erfüllte, kein einziges indigenes Land mehr zu demarkieren
Gewalt gegen Eigentum
Das erste Kapitel des Reports vereint in drei Kategorien die „Gewalt gegen das Eigentum“ der indigenen Völker. In diesem Abschnitt wurden folgende Daten erfasst:
Untätigkeit und Herauszögerung bei der Landregulierung (871 Fälle); Konflikte um territoriale Rechte (118 Fälle); Besitzinvasionen, illegale Ausbeutung natürlicher Ressourcen und verschiedene Sachbeschädigungen (305 Fälle). Die Aufzeichnungen ergeben somit insgesamt 1.294 Fälle von Gewalt gegen das Eigentum indigener Völker im Jahr 2021.
Trotz mehrerer rechtlichen Maßnahmen der Bundesstaatsanwaltschaft (Ministério Público Federal, MPF) war 2021 bereits das dritte Jahr, in dem der brasilianische Präsident sein Versprechen erfüllte, kein einziges indigenes Land mehr zu demarkieren. Eine Aktualisierung der Cimi-Datenbank zu indigenen Gebieten und Territorialforderungen ergab, dass von den 1.393 indigenen Gebieten in Brasilien noch 871 (62%) auf ihre Regularisierung warten. Darunter sind 598 von indigenen Völkern beanspruchte Gebiete, für die es noch keine staatlichen Maßnahmen zur Einleitung des Demarkierungsprozesses gibt.
Hervorzuheben ist in dieser Kategorie auch das Niederbrennen von Gebetshäusern verschiedener indigener Gemeinschaften, also von zentralen Orten der Spiritualität. Vier Fälle im Bundesstaat Mato Grosso do Sul betrafen die Völker der Guarani und Kaiowá, und einer im Bundesstaat Rio Grande do Sul das Volk der Guarani Mbya.
Unter den Fällen von Konflikten über territoriale Rechte gibt es auch mehrere Aufzeichnungen, bei denen sich die Eintragungen im Umweltregister der Ländlichen Gebiete (Cadastros Ambientais Rurais, CAR) und die Zertifizierung von Privatgrundstücken in indigenen Landgebieten überschneiden. In einigen Fällen, wie in den ITs Uru-Eu-Wau-Wau im Bundesstaat Rondônia und im Dorf Barra Velha im Bundesstaat Bahia, wurde versucht, „Parzellen“ über soziale Netzwerke zu verkaufen.
Der Bericht dokumentiert auch Fälle von Morden an indigenen Jugendlichen und Kindern, die mit äußerster Grausamkeit und Brutalität geschahen
Gewalt gegen Personen
Zu den im zweiten Kapitel des Reports systematisierten Fällen von „Gewalt gegen Personen“ wurden folgende Daten erfasst: Machtmissbrauch (33); Morddrohungen (19); verschiedene Bedrohungen (39); Morde (176); Totschlag (20); vorsätzliche Körperverletzung (21); Rassismus sowie ethnische und kulturelle Diskriminierung (21); versuchter Mord (12); sexualisierte Gewalt (14).
Die Registrierungen belaufen sich auf 355 Fälle von Gewalt gegen indigene Völker im Jahr 2021, die höchste Zahl seit 2013, als die Methode zur Zählung von Fällen geändert wurde. Im Jahr 2020 waren 304 solcher Fälle registriert worden.
Die Bundesstaaten, die laut Daten des Informationssystems zur Sterblichkeit (Sistema de Informações sobre Mortalidade, SIM) und der staatlichen Gesundheitsbehörden im Jahr 2021 die meisten Morde an Indigenen verzeichneten, waren Amazonas (38), Mato Grosso do Sul (35) und Roraima (32). Diese drei Staaten registrierten auch 2020 und 2019 die meisten Morde.
Unter den Fällen, die in diesem Zusammenhang hervorstechen, sind zwei Morde an Indigenen des Volkes Tembé im IT Alto Rio Guamá im Bundesstaat Pará. Isac Tembé, ein 24-jähriger Lehrer, wurde von Polizisten getötet, als er mit anderen jungen Männern seines Volkes in einem Gebiet in der Nähe des Territoriums jagte. Einige Wochen später wurde auch Benedito Cordeiro de Carvalho, bekannt als Didi Tembé, unter noch nicht geklärten Umständen erschossen.
Der Bericht dokumentiert auch Fälle von Morden an indigenen Jugendlichen und Kindern, die mit äußerster Grausamkeit und Brutalität geschahen. Im Jahr 2021 lösten die Morde an Raíssa Cabreira, einer erst elfjährigen Guarani Kaiowá, und der 14-jährigen Kaingang namens Daiane Griá Sales Bestürzung aus. Beide wurden vergewaltigt und getötet.
Die meisten Fälle von Untätigkeit und fehlender Unterstützung geschahen im Kontext der Pandemie, insbesondere im Bezug auf das Fehlen von Behandlungen und Gesundheitsteams sowie fehlendem Zugang zu Wasser und zur Abwasserentsorgung
Gewalt durch Untätigkeit der Behörden
Auch die im dritten Kapitel des Reports erfassten Fälle von „Gewalt durch Untätigkeit der Behörden“ haben im Vergleich zu 2020 insgesamt und in fast allen Kategorien zugenommen, mit Ausnahme der Fälle von „allgemeinem Mangel an Unterstützung“ und der Kindersterblichkeit.
Aufgrund des Gesetzes über den Zugang zu Informationen (Lei de Acesso à Informação, LAI) erhielt Cimi vom Sondersekretariat für Indigene Gesundheit (Secretaria Especial de Saúde Indígena, Sesai) Teilinformationen zur Sterblichkeit von indigenen Kindern im Alter von 0 bis 5 Jahren. Die Daten, die im Januar 2022 von diesem Sekretariat erhoben wurden und wahrscheinlich unvollständig sind, dokumentieren 744 Todesfällen bei indigenen Kindern im Alter von 0 bis 5 Jahren im Jahr 2021.
Die Bundesstaaten mit den meisten Todesfällen in dieser Altersgruppe waren Amazonas (178), Roraima (149) und Mato Grosso (106). Trotz der wahrscheinlichen Unvollständigkeit der Daten für 2021 war im letzten Jahrzehnt die Zahl der Todesfälle bei Kindern nur in den Jahren 2014 (785), 2019 (825) und 2020 (776) höher.
Daten von SIM und den staatlichen Gesundheitsbehörden verzeichnen 148 Selbstmorde von Indigenen im Jahr 2021. Die Bundesstaaten mit den meisten Fällen waren Amazonas (51), Mato Grosso do Sul (35) und Roraima (13).
In diesem Kapitel wurden noch folgende Daten erfasst: allgemeiner Mangel an Unterstützung (34 Fälle); mangelnde Unterstützung im Bereich der indigenen Schulbildung (28); mangelnde Unterstützung im Gesundheitsbereich (107); Verbreitung von alkoholischen Getränken und anderen Drogen (13); Todesfälle aufgrund mangelnder Gesundheitsversorgung (39). Das sind insgesamt 221 Fälle, während die Aufzeichnungen in diesen Kategorien im Jahr 2020 auf insgesamt 177 Fälle gekommen waren.
Die meisten Fälle von Untätigkeit und fehlender Unterstützung geschahen im Kontext der Pandemie, insbesondere im Bezug auf das Fehlen von Behandlungen und Gesundheitsteams sowie fehlendem Zugang zu Wasser und zur Abwasserentsorgung. Diese Situation wurde in mehreren Regionen durch Aktionen mit Fehlinformationen zu Impfstoffen gegen Covid-19 verschärft.
Viele Völker, insbesondere in städtischen Kontexten, berichteten von Fällen, in denen ihnen die Impfung verweigert wurde, obwohl das Oberste Bundesgericht (Supremo Tribunal Federal, STF) entschieden hatte, dass alle Indigenen, unabhängig von ihrem Wohnort, in die vorrangige Impfgruppe aufzunehmen waren.
Todesfälle durch Covid-19
Trotz des Beginns der Impfung registrieren die von Cimi analysierten SIM-Daten 847 Todesfälle von Indigenen aufgrund einer Corona-Infektion im Jahr 2021. Die Zahl ist mehr als doppelt so hoch wie die von Sesai, die im selben Zeitraum nur 315 Todesfälle dieser Art verzeichnet.
SIM erfasst Daten zu Todesfällen in ganz Brasilien, während Sesai nur die indigene Bevölkerung abdeckt, die vom Subsystem der Aufmerksamkeit für Indigene Gesundheit (Subsistema de Atenção à Saúde Indígena) versorgt wird und auf etwa 755.000 Personen geschätzt wird.
Die umfassenderen Daten sind ein Hinweis auf die mögliche Untererfassung von Fällen und die große Zahl von Indigenen, die der Pandemie ausgeliefert waren und ohne entsprechende Versorgung starben, sowie in Städten, Camps und wiederbesiedelten ursprünglichen Landgebieten unsichtbar gemacht wurden.
Isolierte Völker
Auch die Situation indigener Völker in freiwilliger Isolation hat einen Grad sehr hoher Bedrohlichkeit erreicht. Der Grund ist die Praxis der Regierung Bolsonaro, Verordnungen zur Einschränkung des Zugangs zu Gebieten, in denen diese Völker leben, jeweils nur für sechs Monaten zu erneuern – oder gar nicht zu erneuern, wie im Fall des IT Jacareúba-Katawixi, für das seit Dezember 2021 kein Schutz mehr besteht.
Die Invasionen betrafen mindestens 28 ITs, in denen es isolierte indigene Völker gibt, und gefährden die Existenz dieser Gruppen. Auf diese Gebiete konzentrieren sich 53 der insgesamt 117 Aufzeichnungen über isolierte Völker beim Cimi-Team zur Unterstützung Freier Indigener Völker (Equipe de Apoio aos Povos Indígenas Livres), das dieses Szenario im vierten Kapitel des Reports analysiert.
Artikel und Gedenken
Der Report stellt auch spezielle Artikel vor zur Situation inhaftierter Indigener in Brasilien, zur Beziehung zwischen Rassismus und Gewalt gegen die indigenen Völker und zur Indigenisten-Politik der Bolsonaro-Regierung unter dem Gesichtspunkt der Verwendung der Haushaltsmittel. Das letzte Kapitel des Berichts, das dem Thema „Gedenken und Gerechtigkeit“ gewidmet ist, bietet eine Reflexion über Mechanismen der Wiedergutmachung und über die Nichtwiederholung von Gewalttaten gegen die indigenen Völker.
Aus dem brasilianischen Portugiesisch übersetzt von Monika Ottermann